Schon bei der Planung der Fahrradtour versprach die Strecke eine ebenso abwechslungsreiche wie anspruchsvolle Reise durch das Ruhrgebiet. Die ehemaligen Bahn- und Industriewege, die sich heute als grüne Bänder quer durch die einstige Kohlehochburg schlängeln, vereinen Geschichte und landschaftliche Vielfalt auf eine Weise, die in Deutschland einmalig ist. Mich reizt immer wieder die Mischung aus Technikgeschichte, naturgeprägten Abschnitten und dem dokumentierten Wandel einer Region – dazu kam die Herausforderung, 104 Kilometer und rund 520 Höhenmeter an einem Tag zu bewältigen, für mich zumindest immer noch eine gute Herausforderung. Gemeinsam mit einem Kollegen prüfte ich, wie viel „Systematische Selbstzerstörung“ das Ballungsgebiet zulässt und wurde belohnt: Mit Industrie, Naturschönheiten und echter Ruhrgebietsatmosphäre.
Die Tour begann am Morgen des 10. August 2025. Zuerst führte der Weg über die Nordbahntrasse, vorbei an renaturierten Bahnsteigflächen, über Viadukte und durch typischem Industrieflair. Licht und erste Radler prägen das Bild, alles in ruhiges Morgenlicht getaucht – urban, aber angenehm grün.
Im weiteren Verlauf, nach dem Übergang zur Glückauf-Trasse, wechselte die Szenerie zu Grünflächen und Waldgebieten. Die spätere Querung zur Ruhrtalstrecke war von einer offenen Flusslandschaft geprägt: Am Ufer grasten Kühe, Campingplätze und Tretboote markierten den Wandel vom Industrie- zum Freizeitstandort.
Ab Mittag wurde es sommerlich warm. Die Flusslandschaft, Wehre, Inseln und Ruinensilhouetten sowie Anlegestellen der Fähren prägten den Abschnitt durch das Ruhrtal zwischen Witten und Hattingen. Nachmittags forderte die steigende Temperatur Kraftreserven heraus. Der Abschluss führte mit Rückenwind über den Ruhrtalradweg zurück zur Glückauf-Trasse und über die Nordbahntrasse wieder nach Hause, ein stimmungsvoller Ausklang einer langen Tour.
Zeitgeschehen am Tag der Tour
Weltweit rückte am 10. August 2025 ein Spitzentreffen zwischen den USA und Russland in Alaska in den Mittelpunkt, das einen neuen Friedensplan für die Ukraine hervorbringen sollte. Die politische Debatte rund um Waffenlieferungen und einen europäischen Friedensplan war präsent, dazu kam die Erschütterung durch ein Erdbeben in der Türkei. In der Region begegnete mir davon wenig – aber der Blick aufs Handy in Pausen brachte die politischen Kontroversen doch mitten ins Grüne.
Kontrastreiche Atmosphäre
Unterwegs begleitete mich das konstante Summen des Alltags – gelegentlicher Autolärm im Hintergrund, Vogelrufe, das Klicken der Kette im Tunnel. Über tieferen Abschnitten lag morgens kühler Dunst, mittags kam grillgetränkte Luft von den Campingplätzen dazu. In den längeren Tunnelabschnitten dämpfte der Beton Geräusche zu reinen Hallräumen. Am Fluss schmeckte die Luft nach Staub und Sommer – Energie, Geschichte und Entschleunigung in einem.
Geschichte
Entstehung und Ursprung
Die Nordbahntrasse wurde 1879 als Teil der Rheinischen Strecke gebaut. Sie verband die expandierenden Industriestädte des Bergischen Landes, querte Wuppertals Nordhänge und verlieh der Region ein leistungsfähiges Netz für Verkehr und Wachstum. Die Glückauf-Trasse wurde 1884 eröffnet – sie war das Eintrittstor für den Kohlebergbau und die Industrialisierung rund um Sprockhövel und Hattingen.
Der Ruhrtalradweg entstand 2006 als multifunktionale Route, die Bahntrassen und Uferwege verknüpft und Industriekultur mit Naherholung verbindet. Der Ausbau zum Radweg war jeweils Antwort auf die Stilllegung des Schienenverkehrs und den Wunsch, diese Trassen als Verkehrs- und Freizeitadern zu erhalten.
Vergangenheit, Höhepunkte, Krisen
Die Nordbahntrasse wurde ab 2010 großzügig saniert. Bürger- und Vereinsinitiativen bewahrten Brücken, Tunnel und Streckenverlauf. Der Wandel von stark befahrener Strecke zur ruhigen, sicheren Verkehrsverbindung prägt die Region. Auch auf der Glückauf-Trasse sicherten sorgsame Umwidmung und viele Denkmalschutzprojekte den Erhalt wichtiger Bauwerke.
Der Ruhrtalradweg erhielt durch seine Länge und die Integration von Industriedenkmalen gezielt nationale und internationale Aufmerksamkeit – hier wurde beispielhaft gezeigt, wie ein Flussradweg regionale Identität und Freizeitwert stiftet.
Zustand der Strecken
Alle Streckenabschnitte waren hervorragend gepflegt, von zahlreichen Ausflüglern und Radfahrenden genutzt und durch regelmäßige Instandhaltung geprägt. Die Wege waren markiert, Brücken und Tunnel instand und auch im Spätsommer in lebhaftem Gebrauch.
Aussichten
Nordbahntrasse, Glückauf-Trasse und Ruhrtalradweg sind heute Symbole des Strukturwandels: Veranstaltungsorte, touristische Anziehungspunkte und Erholungsräume. Laufend werden Infopunkte, Kunstprojekte und Innovationsideen umgesetzt. Insbesondere der Nordbahntrassenverbund wächst – neue Verknüpfungen im Großraum Ruhrgebiet sind bereits in Planung.
Diese Wege sind weit mehr als Fahrradspuren – sie sind Zeitachsen des Ruhrgebiets, Lebensadern für Stadt, Umland und Kultur. Für mich ist die Radtour nicht nur Ausflug, sondern ein kleines Stück Heimatgeschichte und Identität im Wandel.
Informative Fakten
Übersicht: Entwicklung und Eröffnung der Strecken
Jahr | Ereignis |
---|---|
1879 | Bau und Eröffnung der Nordbahntrasse |
1884 | Eröffnung Glückauf-Trasse |
1951 | Ende Personenverkehr Glückauf-Trasse |
1989 | Ende Güterverkehr Glückauf-Trasse |
1991 | Ende Personenverkehr Nordbahntrasse |
1999 | Letzter Güterzug Nordbahntrasse |
2006 | Eröffnung Ruhrtalradweg |
2010 | Start Radwege-Umwidmung Nordbahntrasse/Glückauf-Trasse |
2014 | Offizielle Eröffnung Nordbahntrasse als Radweg (Wuppertal, 23 km) bahntrassenradeln |
Heutige Endpunkte | Nordbahntrasse: Vom Bahnhof Wuppertal-Vohwinkel bis Bahnhof Wuppertal-Oberbarmen, Anschluss an die Kohlenbahn bei Schee/Silschede bahntrassenradeln |
Architektur & Besonderheiten
- Viadukte aus Ziegel- und Sandstein, Tunnel mit teils künstlerischen Elementen
- Zahlreiche Infotafeln und Sitzplätze
- Ruhige Flusslandschaften mit Inseln, Ruinen und markanten Wehren
- Freizeitnutzung: Campingplätze, Bootsverleihe, Radstationen
Technische Daten
- Länge: Nordbahntrasse (Wuppertal) 23 km, Glückauf-Trasse rund 10 km, Ruhrtalradweg ca. 240 km
- Bis zu 5 % Steigung, Tunnel bis 600 m Länge, Viadukte bis 30 m Höhe
- Großflächige Asphaltierung, Beleuchtung mit LED-Technik, zahlreiche Rastplätze und Zugänge
Anekdoten
- Im Zweiten Weltkrieg diente der Schee-Tunnel (Nordbahntrasse) als geheime Produktionsstätte (U-Verlagerung „Kauz“)
- Ehemals fuhren Schienenbusse noch in den 70ern bis zum Schichtwechsel
- Ruhrtalradweg wurde mehrfach als „Flussradweg des Jahres“ ausgezeichnet
Für mich sind diese Bahntrassenradwege im Ruhrgebiet ein echtes Highlight – schnörkellos, abwechslungsreich und voller Geschichte. Der Wechsel von Stadt zu Natur, Zechenturm zu Schilfbucht und Industrie zum Picknickplatz erzählt von der Kraft eines Reviers, sich immer wieder neu zu erfinden. Nach so einer Tour bleiben nicht nur Schweiß und Erinnerungsfotos, sondern auch ein Stück neues Heimatgefühl.
Mit Spannung schaue ich auf kommende Erweiterungen. Welche alten Wege werden noch modern, welche Geschichten werden noch sichtbar gemacht? Wie erleben andere die Region – und wie trägt der Wandel zu Lebensqualität und Identität im Ruhrgebiet bei?
Hier gehts Tour Komoot-Tour: https://www.komoot.com/de-de/tour/2550578835
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