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🇪🇺 Die EU-Maschinenverordnung 2023/1230 kommt

Was ändert sich wirklich ab 2027?

Hinter den Kulissen der europäischen Maschinensicherheit ändert sich mehr als gedacht

Wenn ich durch moderne Industrieanlagen gehe, fallen mir meist zuerst die großen Roboter auf. Aber das Spannendere passiert auf der Ebene der Regelwerke. Ab Januar 2027 wird eine neue EU-Verordnung zur Maschinenregulation in Kraft treten, die nicht einfach nur eine kleine Überarbeitung ist. Sie markiert einen fundamentalen Wechsel in der Art, wie Europa Maschinensicherheit denkt. Ich wollte verstehen, was da konkret passiert und wen es betrifft.

Die Verordnung 2023/1230 ersetzt die Maschinenrichtlinie aus dem Jahr 2006. Das klingt technisch, hat aber echte Auswirkungen auf jeden, der mit modernen Maschinen arbeitet oder sie herstellt. Der Grund: Maschinen haben sich grundlegend verändert. Sie sind vernetzt. Sie lernen durch künstliche Intelligenz. Sie werden von Hackern attackiert. Die alte Regelwerk aus 2006 war auf diese Realität nicht vorbereitet.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Richtlinie und einer Verordnung?

Das ist mehr als nur Wortklauberei. Die bisherige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG musste jedes EU-Land in eigenes nationales Recht umwandeln. In Deutschland wurde das die Produktsicherheits-Verordnung. In Frankreich eine andere Fassung. In Polen wieder anders. Jedes Land interpretierte die Anforderungen ein bisschen anders.

Eine Verordnung funktioniert anders. Sie gilt direkt. Keine nationale Umsetzung, keine Interpretationsspielräume. Die EU-Kommission kann sie auch dynamischer anpassen. Das war eines der Ziele: klare, einheitliche Regeln statt Flickenteppich.

Die Verordnung wurde am 29. Juni 2023 im Amtsblatt veröffentlicht. Bis zum 20. Januar 2027 haben Hersteller Zeit, ihre Maschinen danach auszurichten. 42 Monate. Für manche eine Lifetime für andere deutlich zu knapp.

Cybersicherheit wird plötzlich zur Herstellerpflicht

Das ist die zentrale Neuerung, und hier wird es interessant. Software und digitale Komponenten werden erstmals explizit als Sicherheitselemente definiert. Das bedeutet nicht nur, dass eine Maschine vor Unfällen schützen muss. Sie muss sich auch selbst vor digitalen Angriffen schützen.

Konkret: Hersteller müssen Maschinen so konstruieren, dass sich nicht einfach irgendwer in die Steuerung “einhacken” kann. Sicherheitsrelevante Daten dürfen nicht manipulierbar sein. Die Maschine muss erkennen können oder zumindest aufzeichnen, wenn jemand versucht, etwas zu verfälschen.

Das ist neu. Das ist für viele Maschinenhersteller ein echtes Problem, weil sie bisher keine IT-Sicherheitsexperten im gleichen Umfang brauchten wie jetzt. Ein Maschinenbauer, dessen Kernkompetenz Mechanik ist, muss jetzt auch Cybersecurity ernst nehmen.

Die versteckte Innovation: Autonome und vernetzte Maschinen

Was in der öffentlichen Diskussion oft untergeht, ist die explizite Adressierung von autonom fahrenden oder arbeitenden Maschinen. Diese Systeme sind nicht mehr primär mechanisch gesteuert, sondern setzen auf Sensoren, Kameras und Algorithmen.

Ein autonomer Gabelstapler im Lager oder ein Reinigungsroboter in einer Fabrik ist im Prinzip ein fahrendes Computersystem. Die neue Verordnung zwingt Hersteller, diese neuen Maschinentypen konkret zu adressieren. Wie reagiert ein autonomer Stapler, wenn die GPS-Signale gestört werden? Was tut er, wenn ein Sicherheitsalgorithmus abstürzt?

Dazu kommt: vernetzte Maschinen müssen sich vor Viren, Trojanern und anderen Cyber-Bedrohungen schützen können. Das ist bahnbrechend für eine Verordnung, die vor 20 Jahren noch nicht mal das Internet im Blick hatte.

Mensch-Roboter-Kollaboration: Wenn Maschinen neben Menschen arbeiten

Die sogenannten Cobots, Collaborative Robots, sind längst Realität. Sie arbeiten unmittelbar neben Menschen, manche sogar physisch mit ihnen. Wenn ein Cobot durch einen Softwarefehler plötzlich unkontrolliert eine Bewegung ausführt, kann das für die neben ihm arbeitende Person gefährlich werden.

Die neue Verordnung nimmt diese Situation ernst und sieht spezifische Anforderungen an Sicherheitslogik und Kontrollsysteme vor. Hersteller müssen dokumentieren, wie sie sicherstellen, dass ein KI-gesteuerter Roboter die Sicherheit nicht kompromittiert, wenn etwas schiefgeht.

Künstliche Intelligenz in der Maschinensteuerung

Ein weiterer heißer Punkt ist die KI. Maschinen nutzen zunehmend Machine Learning und andere KI-Techniken. Die neue Verordnung schafft hier eine Schnittstelle zur EU-KI-Verordnung. Das bedeutet: Ein Maschinenhersteller, der KI nutzt, muss jetzt nicht nur die Maschinenverordnung, sondern auch die KI-Verordnung beachten. Das schafft zusätzliche Compliance-Anforderungen.

Wer ist jetzt Adressat der Verordnung?

Das ist nicht trivial. Die Verordnung richtet sich nicht nur an Hersteller. Das Adressatenspektrum ist breiter:

Hersteller haben die offensichtlichen Pflichten. Aber auch Importeure und Einführer, die Maschinen in die EU bringen, haben Verantwortung. Online- und stationäre Händler müssen überprüfen, ob eine Maschine konform ist. Betreiber, die alte Maschinen mit neuer Steuerungssoftware ausstatten, werden selbst zum Hersteller. Das ist ein kritischer Punkt, der oft übersehen wird.

Die praktischen Herausforderungen für die Industrie

Das ist ehrlich: Diese Transition ist für die Maschinenbauindustrie eine große Sache. Hersteller müssen ihre Entwicklungsprozesse überdenken. IT-Sicherheit war früher vielleicht ein Thema für größere Firmen. Jetzt ist es Pflicht für alle, auch kleine und mittlere Unternehmen.

Das kostet. Neue Fachkräfte müssen eingestellt oder externe Firmen beauftragt werden. Validierungs- und Testprozesse werden komplexer. Kleine Unternehmen leiden oft stärker darunter als große Konzerne mit etablierten Ressourcen.

Die EU hat das gesehen und ermöglicht daher einen graduellen Übergang. Hersteller können bereits jetzt ihre Maschinen nach der neuen Verordnung konstruieren. Für Hersteller in der Serienproduktion gibt es auch die Möglichkeit einer kombinierten Konformitätserklärung, die sowohl die alte als auch die neue Verordnung abdeckt.

Schnittstellen zu anderen Regelwerken

Die Maschinenverordnung existiert nicht allein. Sie verbindet sich mit anderen EU-Regelwerken:

Der AI Act adressiert KI-Sicherheit generell. Der Cyber Resilience Act regelt Cybersicherheit von vernetzten Produkten. Die Funkgeräterichtlinie ist relevant für Maschinen mit Funkverbindung. Für ein modernes Unternehmen bedeutet das: Die Compliance-Anforderungen vervielfachen sich. Es reicht nicht mehr, nur eine Verordnung zu verstehen.

Fazit: Ein Wendepunkt für Maschinensicherheit

Die neue Verordnung ist nicht einfach eine administrative Neuerung. Sie reflektiert, dass Maschinen heute nicht mehr nur Metall und Mechanik sind. Sie sind intelligente, vernetzte Systeme mit eigenen Sicherheitsrisiken.

Der Punkt ist: Cyber-Sicherheit wird ab 2027 keine Optional-Option mehr sein. Sie wird Herstellerpflicht. Das ändert die Industrie.

Für Unternehmen bedeutet das konkret: Jetzt ist die Zeit zu handeln. Die 42 Monate bis Januar 2027 erscheinen lang, sind aber für Maschinenbauer mit langen Entwicklungszyklen wirklich eng bemessen. Wer wartet, bis 2026 kommt, wird unter Druck geraten.

Eine offene Frage bleibt: Reichen technische Regeln allein aus? Oder brauchen wir auch eine echte Kultur der Sicherheit in der Branche, die über das Minimum hinausgeht?

Primärquellen:

  1. EUR-Lex: Verordnung (EU) 2023/1230
    https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32023R1230
  2. Wikipedia: Verordnung (EU) 2023/1230 (EU-Maschinenverordnung)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EU)2023/1230(EU-Maschinenverordnung)
  3. OSHA Europa: Regulation 2023/1230/EU – Machinery
    https://osha.europa.eu/de/legislation/directive/regulation-20231230eu-machinery

Sekundärquellen – Fachanalysen:

  1. WEKA Produktsicherheit: Maschinenverordnung EU 2023/1230 – Digitale Sicherheit
    https://www.weka.de/produktsicherheit/maschinenverordnung-eu-2023-1230-anforderungen-an-digitale-technologien-und-cybersicherheit/
  2. Schneider Electric: Unterschiede Maschinenrichtlinie 2006/42/EG vs. Maschinenverordnung 2023/1230
    https://www.se.com/de/de/faqs/FAQ000261767/
  3. Eticor: EU-Maschinenverordnung 2027 – Pflichten im Überblick
    https://eticor.com/de/blog/die-eu-maschinenverordnung-2027
  4. NTT Data: EU-Maschinenverordnung 2023/1230 – Neue Cybersecurity-Anforderungen
    https://ch.nttdata.com/insights/blog/eu-maschinenverordnung-2023-1230-neue-cybersecurity-anforderungen-fuer-hersteller-ab-2027

IHK-Verbände und Branchenorganisationen:

  1. IHK Lippe-Detmold: Neue EU-Maschinenverordnung – Übergangsanalyse
    https://www.ihk.de/lippe-detmold/hauptnavigation/beraten-und-informieren/innovation-und-digitalisierung/aktuelles2/neue-eu-maschinenverordnung-5683128
  2. IHK Halle: Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 tritt 2027 in Kraft
    https://www.ihk.de/halle/produktmarken/innovation-und-infrastruktur/produktsicherheit-ce-kennzeichnung/maschinenverordnung-5886622
  3. IHK Nürnberg: Merkblatt zur Verordnung (EU) 2023/1230 über Maschinen (PDF)
    https://www.ihk-nuernberg.de/fileadmin/IHK_Nuernberg/Innovation-Technologie-Forschung/Merkblaetter/Merkblatt-EU-Maschinenverordnung.pdf
  4. IHK Regensburg: Neue Maschinenverordnung ab Januar 2027 verpflichtend
    https://www.ihk.de/regensburg/branchen/industrie/maschinenrichtlinie-2023-4527202

Brancheninformationen und technische Analysen:

  1. ESA Automation: Wie sich die Automatisierungsindustrie verändert
    https://www.esa-automation.com/de/neue-eu-maschinenverordnung-wie-sich-die-automatisierungsindustrie-verandert/
  2. Conrad: Neue EU-Maschinenverordnung – Anforderungen & Zeitplan
    https://www.conrad.de/de/ratgeber/industrie-40/eu-maschinenverordnung.html
  3. Der Maschinenbau: Cybersicherheit auf Maschinenebene
    https://der-maschinenbau.de/allgemein/cybersicherheit-auf-maschinenebene/
  4. TÜV Rheinland: New Machinery Regulation EU 2023/1230
    https://www.tuv.com/world/en/new-machinery-regulation-eu-2023-1230.html
  5. Nemko: New EU Machinery Regulation 2023/1230 – Cybersecurity
    https://www.nemko.com/blog/eu-machinery-regulation-2023/1230

Gewerkschaften und Sicherheitsbehörden:

  1. DGUV: Die neue EU-Maschinenverordnung (PDF-Handout)
    https://www.dguv.de/medien/fb-holzundmetall/veranst/dokumente/2024/01_die-neue-maschinen-vo_t_kirsch_zls-bayern_handout.pdf
  2. Bauportal BGBau: Auswirkungen der EU-Maschinenverordnung 2023/1230
    https://bauportal.bgbau.de/bauportal-42024/branchenuebergreifend/auswirkung-neue-eu-maschinenverordnung-2023-1230

Vergleichsstudien:

WEKA Manager CE: Der Weg zur neuen Maschinenverordnung
https://www.weka-manager-ce.de/maschinenrichtlinie/neue-maschinenverordnung/

EUROGIP/ETUI: Von der Richtlinie zur neuen Verordnung – Was ändert sich? (PDF)
https://eurogip.fr/wp-content/uploads/2024/01/DE-EUROGIP-ETUI_Machinery-from-the-Directive-to-the-new-Regulation-V1-2023-12.pdf

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Rico Mark Rüde

Seit 2002 widmet er sich der urbanen Erkundung, indem er unbekannte Orte aufspürt, die oft im Verborgenen liegen, obwohl sie mitten unter uns sind. Seine Entdeckungen hält er fotografisch fest und bereichert sie in seinem Blog mit ausführlichen Recherchen und Texten. Neben seinem Interesse für das Urbexing engagiert er sich auch im Schreiben von Geschichten und Büchern sowie im detailreichen Modellbau.

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